Herzlich Willkommen bei kath 2:30, dem Blog der Katholischen Citykirche Wuppertal.
Hier geht es zum Videopodcast von kath 2:30.
Besuchen Sie auch die Mystagogische Kirchenführung.
Oder die Seite des Heiligen Laurentius, unter Stadtpatron Wuppertal.

kath 2:30 Theologie konkretEs war eine Nachricht, die von manchem sich selbst dem orthodoxen Katholizismus zurechnenden Newsservice eine „Eilmeldung“ wert war: Papst Benedikt XVI hat am 14. April 2012 in einem Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofkonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, deutlich gemacht, dass es in den Adaptionen der Einsetzungsberichte in den deutschen Messbüchern fürderhin nicht mehr heißen soll, Jesus gebe sein Blut „für alle“, sondern „für viele“ bzw. „für euch“ hin. Damit soll nicht nur die Einheit der Liturgie in einer wichtigen Formulierung wiederhergestellt werden, die in den deutschsprachigen Bistümern zur Zeit unterschiedlich gehandhabt wird. Auch mit Blick auf die Neuausgabe des katholischen Gesangbuches „Gotteslob“, die für das Ende des Jahres 2013 angekündigt ist, wünscht der Papst eine eindeutige und einheitliche Regelung. Dabei agiert der Nachfolger auf dem Stuhl Petri nicht aus eigenem Antrieb. Seine Entscheidung erfolgt vielmehr aufgrund einer Anfrage, die Erzbischof Zollitsch bei seinem Besuch in Rom am 15. März 2012 vorgetragen hat.

Das Gemeinte und das Gesagte

In seinem Schreiben geht Papst Benedikt auf die Entstehung des fraglichen Problems ein. In der Folge des 2. Vatikanischen Konzils wurde in den 1960er Jahren das römische Missale unter der Verantwortund der Bischöfe in die deutsche Sprache übersetzt. Das lateinische „pro multis“ (im griechischen Original τὸ περὶ πολλῶν – sprich: to peri pollon [Matthäus 26,28] bzw. ὑπὲρ πολλῶν – sprich: hyper pollon [Markus 14,24] – in beiden Fällen ist der Hinweis mit dem Kelchwort verbunden) wurde seinerzeit von einigen wörtlich und der Tradition entsprechend mit „für viele“ wiedergegeben. Andere interpretierten das „pro multis“ unter Rückgriff auf den damals bestehnden Konsens hinsichtlich der Auslegung von Jesaja 53,11 als Hebraismus, der eigentlich die Gesamtheit „alle“ meint und folglich mit „für alle“ (im griechischen würde das dann πὲρι πάντων – sprich peri panton – heißen).

Papst Benedikt XVI sieht hierin eine Verschmelzung von Übersetzung und Auslegung. Dabei stellt er fest, dass

„bis zu einem gewissen Grad (…) das Prinzip einer inhaltlichen und nicht notwendig auch wörtlichen Übersetzung der Grundtexte weiterhin berechtigt [bleibt]“. (Brief Benedikts XVI an Erzbischof Zollitsch vom 14.4.2012)

Allerdings wiegt für ihn die Einheit der Kirche höher, so dass die lehramtliche Autorität immer auch bei der Auslegung biblischer Texte und folglich auch für deren Übersetzung als Dienst an der Einheit zu berücksichtigen ist:

„Es gehört zur Struktur der Offenbarung, dass das Gotteswort in der Auslgungsgemeinschaft der Kirche gelesen wird, dass Treue und Vergegenwärtigung sich miteinander verbinden. Das Wort muss als es selbst, in seiner eigenen, vielleich tuns fremden Gestalt da sein; die Auslegung muss an der Treue zum Wort selbst gemessen werden, aber zugleich es dem heutigen Hörer zugänglich machen. “ (Ebd.)

Papst Benedikt entscheidet auf diesem Hintergrund,

„dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort ‚pro multis‘ als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse. An die Stelle der interpretativen Auslegung ‚für alle‘ muss die einfache Übertragung ‚für viele‘ treten.“ (Ebd. – Hervorhebung im Original)

Papstwort gegen Papstwort

Das ist eine bemerkenswerte Argumentation. Denn die Gegenüberstellung von Übersetzung und Auslegung in dem letzten Zitat nivelliert die Tatsache, dass jede Übersetzung immer auch eine Auslegung beinhaltet (darauf weist auch M. Schmidt in einem kath.de-Kommentar vom 27.4.2012 hin). Man kann sich also nicht auf der sicheren Seite wähnen, bloß weil man scheinbar die Worte 1:1 wieder gegeben hat. Hinzu kommt, dass der Vorgänger des jetzigen Papstes die Übersetzung „für alle“ in seinem Gründonnerstagsschreiben vom 13.3.2005 wenige Tage vor seinem Tod bekräftigt hat.

‚Hoc est enim corpus meum quod pro vobis tradetur.‘ Der Leib und das Blut Christi sind hingegeben für das Heil des Menschen, des ganzen Menschen und aller Menschen. Dieses Heil ist integral und gleichzeitig universal, damit es keinen Menschen gibt, der — wenn nicht durch einen freien Akt der Ablehnung — von der Heilsmacht des Blutes Christi ausgeschlossen bliebe: ‚qui pro vobis et pro multis effundetur‘. Es handelt sich um ein Opfer, das für »viele« hingegeben wird, wie der biblische Text (Mk 14, 24; Mt 26, 28; vgl. Jes 53, 11-12) in einer typisch semitischen Ausdrucksweise sagt. Während diese die große Schar bezeichnet, zu der das Heil gelangt, das der eine Christus gewirkt hat, schließt sie zugleich die Gesamtheit der Menschen ein, der es dargeboten wird: Es ist das Blut, ‚das für euch und für alle vergossen wird‘, wie einige Übersetzungen legitim deutlich machen. Das Fleisch Christi ist in der Tat hingegeben »für das Leben der Welt« (Joh 6, 51; vgl. 1 Joh 2, 2).“ (Johannes Paul II, Gründonnerstagsschreiben an die Priester vom 13.3.2005, Nr. 4)

So entsteht nun die verzwickte Lage, dass Papstwort gegen Papstwort steht. Die Lage ist offenkundig nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick scheint. Das „für alle“ ist eben nicht bloß Interpretation. In ihm kommt das Gemeinte möglicherweise besser zum Ausdruck als in der „einfachen“ Übersetzung „für viele“. Hinzu kommt, dass der biblische Befund selbst einen offenen Spannungsrahmen schafft, der in dem liturgisch-exegetischen Dilemma einen Ausweg weisen konnte. Denn das zur Debatte stehende „pro multis“ findet sich eben nur in der matthäisch-markinischen Traditionslinie. Paulus und Lukas hingegen schreiben „pro vobis“ (τὸ ὑπὲρ ὑμῶν – sprich: to hyper hymon [Lukas 22,20/1 Korinther 11,24 – hier verbunden mit dem Brotwort).

Der biblische Befund

Die Unterschiede der matthäisch-markinischen und der paulinisch-lukanischen Linie an dieser Stelle bedürfen einer eigenen Begründung. Sie ergibt sich aus dem historischen Kontext. Im Hintergrund steht die immer noch schwelende Anerkennung der heidenchristlichen durch die judenchristlichen Gemeinden: Konnte man wirklich voll und ganz Christ ohne Beschneidung sein? Für Paulus kein Zweifel, denn der Kreuzestod Christi ergibt für ihn nur dann Sinn, wenn er für alle gestorben ist – und nicht exklusiv für einige. Da die heidenchristlichen Gemeinden der frühen Kirche gerade hier um ihre Anerkennung ringen mussten, weist Paulus in seinen Briefen immer wieder darauf hin, dass nicht die Herkunft heilsentscheidend ist, sondern allein der Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen. Es geht also um mehr als um eine bloße Konkretion. Im Galaterbrief und im Römerbrief entfaltet er diesen Gedanken, der entscheidend für die Ausbildung der heidenchristlichen Identität ist: Nicht mehr die Beschneidung entscheidet über die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk; wer glaubt, gehört ohne Unterschied zum Volk Gottes. Jetzt zählt eben nicht mehr Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau; alle sind einer in Christus (vgl. Galater 3,28).

Vor diesem Hintergrund wird die unterschiedliche Ausrichtung der beiden Überlieferungslinien der Einsetzung des Abendmahles deutlich, die doch auf ein gemeinsames Ziel weist. Den heidenchristlichen Adressaten des paulinischen 1. Korintherbriefes und des Lukasevangliums wird mit dem „für euch“ unzweifelhaft zugesagt, dass die Hingabe Jesu ihnen gilt, die nicht von Geburt an zum auserwählten Volk gehörten. Tod und Auferstehung Jesu sprengen die alten Grenzen.
Demgegenüber weisen Matthäus und Markus in ihren Evangelien die judenchristlichen Adressaten in den Gemeinden darauf hin, dass das durch Tod und Auferstehung Jesu bewirkte Heil nicht exklusiv durch Zugehörigkeit zum jüdischen Volk zu haben ist. Es ist eben „für die Vielen“, die eben nicht unbedingt durch Geburt Juden sind. Das matthäisch-markinische „für viele“ und das paulinisch-lukanische „für euch“ läuft damit auf dasselbe hinaus: Die Entgrenzung des durch Tod und Auferstehung bewirketen Heils, das nicht mehr exklusiv an irdisch-vergängliche Vorgaben gebunden ist. Es ist eben ein Heil „für alle“, wie auch Benedikt XVI in seinem Schreiben mit Verweis auf den Römerbrief 8,32 feststellt.

Ist also der Streit zwischen den Befürwortern des „für viele“ (den Hyperpollonesiern) und denen, die auf dem „für alle“ (den Peripantonen) pochen eine reine Wortklauberei? Keineswegs! Denn Sprache schafft Bewusstsein!

„Für viele“ – ein echter Auftrag „für euch“!

Das „für alle“ trifft zwar den Sinn der Abendmahlsüberlieferung. Es führt aber auch zu einer entspannten Saturiertheit. Politisch korrekt werden einfach alle eingeschlossen, ob sie wollen oder nicht. Es nivelliert den Unterschied zwischen denen, die schon dazu gehören und denen, die (noch) nicht dazugehören, um die man sich aber deshalb auch nicht mehr bemühen muss. Das die Gemeinde entgrenzende „für viele“ bringt das stärker zum Ausdruck, denn es verweist in der biblischen Tradition auf die, die man eigentlich nicht dabei haben will. Es scheint paradox: Aber in der biblischen Abendmahlstradition scheint das „für viele“ genau diese rhetorische Funktion zu besitzen. Angesichts der Tatsache, dass die heutigen Gemeinden, die fast samt und sonders heidenchristliche Gemeinden sind, de facto den Status eingenommen haben, den seinerzeit die judenchristlichen Gemeinden innehatten, hat das „für viele“ einen tiefen Sinn. Gerade in der gegenwärtigen kirchenpolitischen Situation, in der der Drang nach Innen und der Rückzug in die „kleine Herde“ stärker zu sein scheint als die pfingstliche Sendung in die Welt, sorgt das „für viele“ für einen stärkeren Aufbruch als ein „für alle“, das suggeriert, es sei schon alles irgendwie gut.

Papst Johannes Paul II hat genau das in seiner Wiedergabe der Wort Jesu in die Formel „für euch und für alle“ gefasst. Papst Benedikt XVI weist nun darauf hin, dass damit der Wortlaut der biblischen Tradition in jedem Fall verlassen wird. Für ihn ist aber auch die universelle Einheitlichkeit der Formulierung von Bedeutung. Die Spannung der biblischen Texte zeigt aber an, dass genau diese Eindeutigkeit schwer herzustellen ist. Vielleicht ist die spannungsvolle Offenheit der biblischen Tradition sogar das Prinzip, das ein magisches Verständnis der Einsetzungsworte verhindert und sie zu bloßen Zauberformeln degradiert. Die Kirche hat diese Sapnnung bisher ausgehalten. In diesem Sinn ist das „für alle“ mit Sicherheit nicht der ekklesialen Einheit abträglich, selbst wenn die deutschsprachigen Bistümer hier zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen sind.

Tatsächlich weist die Fragestellung um das „für euch“, „für viele“ und „für alle“ die gegenwärtige Kirche auf eine ganz andere Problematik hin. Papst Benedikt XVI mahnt deshalb nicht ohne Grund eine intensive katechetische Neubesinnung an. Denn hier geht es nicht bloß um richtige Übersetzungen und die Tradition. Der Blick zurück kann zu einem Blick nach vorne werden. Es geht um den Weg der Kirche in die Welt von morgen: Das „für alle“ meint das Richtige. Es nimmt aber die Spannung, die in den vier biblischen Einsetzungsberichten enthalten ist. Es wäre schade, wenn diese Spannung verloren ginge. Das „für viele“ ist eine Mahnung an die, die am Mahl des Herrn teilnehmen, bei denen noch viele fehlen. Die Sendung Jesu gilt allen. Das „für viele“ darf deshalb nie defizitär aufgefasst werden, in dem Sinne, dass er geschichtlich nur „viele“ erreichen würde. Das widerspricht der biblischen Intention. Vielmehr wird das „für viele“ zum Auftrag „für uns“, die „vielen“, die (noch) nicht da sind, zu erreichen. Es wäre also konsequent, wenn man formulieren würde: „für euch und die vielen“.

Viele, das scheinen vordergründig nicht alle zu sein. Aber alle, das sind Viele!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

6 Kommentare

  1. Lars Schäfers schrieb am 30. April 2012 um 10:04 :

    Ich frage mich nicht nur im Kontext dieser Frage, ob kirchliche Einheit eine Uniformität bedeuten muss, wie es nach meiner Ansicht vom Lehramt oft intendiert wird. Die Katholische Kirche ist ja bereits die Kirche mit der stärksten Einheitlichkeit.
    Es bedarf aber auch einer relativen Vielfalt damit auch eine echte Inkulturation der Kirche in allen Erdteilen gelingen kann.
    Wenn das „für viele“ also ein Hebraismus sei, welches eigentlich das „für alle“ meint, dann kann man es doch ruhig in nichthebräischen Verstehenskontexten, wie in Deutschland so übersetzen, dass das Gemeinte auch tatsächlich verstanden wird.

  2. Peter Otten schrieb am 30. April 2012 um 12:08 :

    Sehe ich auch so, eigentlich. Denn ich würde mich gegen jeden „Exklusivismus“ wenden (der zum Beispiel auch dann anklingt, wenn bei dem Kommunionempfang – wie bei der einen oder anderen Kommunionfeier, wie zu hören war – darauf hingewiesen wird, wer die Kommunion nicht empfangen darf). Jenen von Werner skizzierten Aspekt

    „Das “für viele” ist eine Mahnung an die, die am Mahl des Herrn teilnehmen, bei denen noch viele fehlen. Die Sendung Jesu gilt allen. Das “für viele” darf deshalb nie defizitär aufgefasst werden, in dem Sinne, dass er geschichtlich nur “viele” erreichen würde. Das widerspricht der biblischen Intention. Vielmehr wird das “für viele” zum Auftrag “für uns”, die “vielen”, die (noch) nicht da sind, zu erreichen“

    finde ich allerdings auch sehr nachdenkenswert. Denn das würde ja gerade den Gedanken des Exklusivismus aufbrechen und in eine Verantwortung für „die anderen“ verwandeln.

    • Lars Schäfers schrieb am 30. April 2012 um 17:59 :

      Das stimmt, denn der Exklusivismus ist ja im Grunde seit dem 2. Vatikanum auch Gott sei dank nicht mehr die Position des Lehramtes.
      Beim Kommunionempfang finde ich es aber schon sehr wichtig, dass darauf hingewiesen wird, dass man sie auch unwürdig empfangen kann, wenn man sich einer schweren Sünde bewusst ist, denn die hl. Eucharistie ist ja salopp gesagt keine Schleuderware, sonders das Allerheiligste auf dessen Empfang man sich auch entsprechend vorbereiten sollte.
      Es darf natürlich auch nicht verschwiegen werden, dass der Auftrag an uns sich jenen zuzuwenden, die (noch) nicht da sind, wichtig ist, da ja die universale Erlösung durch Christus auch vom Einzelnen in Freiheit abgelehnt werden und so unwirksam gemacht werden kann. So darf sich kein Katholik in einem vermeintlich bequemen Exklusivismus einrichten, sondern sollte sich voll Zuversicht und Offenheit für das Heil der Mitmenschen einzusetzen.

  3. Peter Otten schrieb am 2. Mai 2012 um 05:51 :

    Sehr lesenswerte Einschätzung noch vom Neutestamentler Prof. Gerhard Häfner aus München:
    http://www.lectiobrevior.de/2012/05/pro-multis.html

  4. Panama schrieb am 18. Juni 2012 um 23:17 :

    ob benedikt aus der jungfrau bei Jes. 7,14 auch wieder eine junge frau macht, wie es dem urtext entspricht und wie sich alle experten einig sind. wenn er schon so auf der buchstabentreue herumreitet, wäre das der logische nächste schritt. natürlich sind dann auch alle neutestamentlichen bezugstellen zu ändern, da sie ja auf einer fehlinterpretation beruhen. dann ist es durchaus katholisch zu glauben, dass jesus von einer jungen frau geboren wurde und viel unsinn über jungfrauengeburten wäre damit aus der welt geschafft. also benedikt sprich zu uns!

  5. Kath 2:30 schrieb am 13. April 2013 um 21:24 :

    […] die (noch) nicht zur Gemeinschaft des Volkes Gottes gehören (vgl. hierzu meine Kath 2:30-Beitrag “Wenn Hyperpollonesier auf Peripantonen treffen”); das “pro multis” beinhaltet also geradezu einen missionarischen Auftrag, der das […]

Hinterlasse einen Kommentar